Verdammt lange her

Das metallene „Klack-Knack" des Gasgestänges ist deutlich bis hier hinauf in die Einfahrt zu hören, als das Gaspedal zwei mal kurz hintereinander durchgetreten wird. Ein Anlasser orgelt und zwei, drei Umdrehungen später ist der wunderbare Doppelnocker zum Leben erweckt. Anfänglich noch zögerlich und leicht unwillig Gas annehmend, röhrt es bald schon sonor aus den beiden armdicken Endrohren einer Abarthanlage, die eigentlich vom Alfa stammt. Deren Endtopf aber passte in Verbindung mit einem Vorschalldämpfer aus einem Ford Escort RS nebst dazugehörigem Mittelrohr damals eben so wunderbar unter das Auto und seitdem verrichtet diese Auspuffanlage Marke Eigenbau auch bereits seit zwei Jahren ausgezeichnet ihren Dienst. Unbemerkt von TÜV und dem Auge des Gesetzes tut sie dies eben auch mit einem unwiderstehlichen und einzigartigen Sound.

 

„Morgen, Alter, alles klar soweit?", fragt mich Martin und stellt dabei den Motor wieder ab. Wir verladen unser Gepäck. Das heißt, eigentlich haben wir vor, unser Gepäck zu verladen. Doch als wir den Kofferraumdeckel öffnen müssen wir einsehen, dass dieses Vorhaben zum Scheitern verurteilt ist. Jedenfalls in dem von uns geplanten Umfang. Also selektieren wir, was wir nicht unbedingt brauchen aus unserem Reisegepäck heraus und verfrachten es ins Haus.

„Immer noch zuviel", bemerke ich und will gerade das Gurtband lösen, dass die schwere Werkzeugkiste gegen Verrutschen sichert, als Martin mir mit dem Finger auf die Schulter tippt. „Das vergiss mal lieber wieder", sagt er kopfschüttelnd und fügt hinzu: „Die muß mit. Oder haste etwa zuviel Geld. Außerdem, ne andere Werkstatt als meine Garage kriegt der kleine hier in seinem restlichen Leben nicht mehr zu sehen. Nur über meine Leiche."

„OK!", sage ich achselzuckend und deute auf die Rückbank. „Können wir da nicht noch so ein paar Kleinigkeiten unterbringen?"

Martin öffnet die Fahrertür, steigt ein und beugt sich nach rechts, um die Beifahrertür ebenfalls zu öffnen. Danach richtet er sich im Sitz auf und löst die beiden Haken der Verdeckverriegelung am oberen Chromrahmen der Windschutzscheibe. Mit der rechten Hand greift er nun die Handschlaufe am Verdeck und befördert es mit sanftem Schwung nach hinten. Das beigefarbene Kunststoffdach faltet sich dabei leicht an den vorgesehenen Stellen. Martin steigt wieder aus und ich gehe zur Beifahrerseite. Dann falten wir gemeinsam das Dach vorsichtig nach hinten zusammen und achten sorgfältig darauf, die kleine Kunststoff-Scheibe des Verdecks nicht zu knicken. Danach legen wir die schwarze Kunstlederpersenning auf und knöpfen sie rundherum am Wagen fest.

„Ist zwar noch ein bisschen frisch, so früh am Morgen, aber ziehen wir eben solange ne Jacke an. Offen fahren wollten wir ja eh, oder?", sagt Martin und verstaut zwei Campingstühle, die Dackelgarage (gemeinhin auch als Zwei-Mann-Zelt bekannt), den Gaskocher, Luftmatratzen und zwei kleinere Reisetaschen hinter den Sitzen und auf der Rückbank. Weitere zwei kleinere Koffer, einige wenige Plastiktüten mit Schuhen und Kleinkrams und eine mittelgroße Pappschachtel mit allerlei Klein-Ersatzteilen für Vergaser, Zündung, Bremsen, Licht etc. fanden neben Warndreieck, Verbandskasten und Reservekanister noch im Kofferabteil Platz. Dann schließe ich vorsichtig die Klappe. Wir sehen uns befriedigt an und nicken beinah gleichzeitig. „Klappe zu, Affe tot!", rufe ich und biete Martin eine HB an. „Wenn Du willst, können wir gleich los. Oder gehen wir noch schnell Kaffee trinken?" fragt Martin und dreht sich dabei in Richtung Hauseingang um. Klar gehen wir erst noch Kaffee trinken. Ist schließlich für einige Wochen das letzte Mal, dass wir diesen herrlichen Kaffe bekommen, den Martins „Turbomaschine" in Rekordzeit fabriziert. Was für eine Kaffeemaschine! Eine Krupps. Mit zwei Bügeln, einem jeweils links und rechts von der zentralen Heizplatte aufsteigend und oben über Kanne und aufgesetztem Filter zusammengesetzt. Dort befindet sich ein kleiner, chromfarbener Hebel der, nach Befüllung der Maschine mit Wasser und Kaffeepulver umgelegt, den Brühvorgang in Gang setzt. Kaum zwei (2!) Minuten später ist unter Getöse und Gezische die Glaskanne darunter mit gut acht Tassen herrlichstem Kaffee gefüllt, der so heiß ist, dass man ihn unmöglich sofort oder ohne Milch trinken kann. Ich jedenfalls kann das nicht. Für Martin stellt das überhaupt kein Problem dar. So trinkt er auch bereits die dritte Tasse, als noch nicht mal mit meiner ersten fertig bin.

„Klick" – der Gurt rastet im Schloss ein. Martin wendet und im Vorbeifahren verabschieden wir uns winkend von seinen Eltern, die vor dem Haus warten. Endlich sind wir unterwegs. Sechs Wochen Urlaub. Ein Wahnsinn! Den überaus steilen Berg zur Hauptstrasse rollen wir vorsichtig über das glatte Kopfsteinpflaster hinunter. Kommt einem hier einer entgegen und man muß bremsen, so kann es ohne weiteres auch auf trockener Strasse dazu kommen, dass der Wagen ins rutschen gerät und sich nicht mehr stoppen lässt. Dann gute Nacht, Marie!

Wir sind unten. Vorfahrt achten, rechts abbiegen und in Richtung Weidenau auf der Hauptstraße fahren wir nun. An der ersten Ampel stehen wir bei Rot ganz vorn neben einem roten Golf I GTI. Verächtlich und ein wenig mitleidig mustert der Fahrer im Muscel-Shirt und mit Vokuhila-Frisur unser Gefährt von oben herab, um dann bei Grün eine ordentliche Menge Gummi auf die Straße zu radieren. „Lass den Spinner. Heute nicht.", sagt Martin. Wir wollen noch weiter kommen, als bis zur ersten Ampel. Südfrankreich soll es sein. Zuerst über die Autobahn bis nach Basel. Dann über Landstraßen durch die Schweiz und über den Gotthard nach Italien. Danach Lago Maggiore, Lago di Como, Aostatal, Seealpen und Nizza. Alles weitere ergibt sich dann schon. Genau so soll es sein.

Italien, die Heimat unseres Reisgefährtes. Dort, genauer gesagt in Oberitalien, in Turin erblickte er anno 1967 das Licht der automobilen Welt. Seine Eltern waren Gianni Agnelli und Sergio Pininfarina und bereits bei seiner Geburt hat man gesehen, dass er nur die besten Gene mitbekommen hatte. Er war (im Original) einmal von leuchtend gelber Farbe mit schwarzen Kunstledersitzen und bar jeder Art von Kopfstütze oder Sicherheitsgurt. Sein Herz schlug vorn unter einer kurzen, flachen Haube im Takt von vier Zylindern, gesteuert von zwei obenliegenden Nockenwellen und beatmet von einem Del-Orto Registervergaser. Bei seiner Geburt hatte sein Herz 1425 ccm und die schwangen sich auf zu knapp 90 munteren Pferdchen. Für damalige Verhältnisse unglaubliche 8000 Touren und mehr waren kurzzeitig schadlos möglich. Unglaublich zumindest für Serienmotoren. Und nur der Motorradmotor eines Honda S 600 war zu noch atemberaubenderen Drehzahlen (jenseits der 10.000er Marke) fähig.

Getauft wurde er auch. Auf den Namen „SPORT SPIDER 124". Und er bekam über die Jahre noch rund 200.000 Brüder und Schwestern hinzu, von denen noch eine ganze Reihe putzmunter zu sein scheinen und zu gelegentlichen Klassentreffen erscheinen. Für mich ist und bleibt der FIAT 124 SPORT SPIDER, vornehmlich in den Ausführungen der frühen Jahre, d e r klassische Sportwagen schlechthin. Er, und neben ihm nur noch die Alfa Romeo Gulietta SPIDER, sind funktionelle Lustobjekte, alltagstauglich und erschwinglich und von zeitloser Eleganz. Da kommen ihre jeweiligen Nachfolger nicht im mindesten mit.

Unser SPIDER war eines der ersten Modelle mit dem kleinen 1400-er Motor des FIAT 125. So fand ihn Martin Ende der 70-er Jahre in erbarmungslosem Zustand auf einem Siegener Schrottplatz. Er verliebte sich sofort in den „Kleinen" und erstand ihn für sage und schreibe 350 (!) Emmchen. Zwei Jahre und unzählige Garagenstunden später gab der TÜV dem SPIDER und dem schlaksigen, jungen Mann im blauen Monteuranzug mit dem „FORD GRAB" Aufnäher auf der stolzen Brust den einstweiligen Segen. Weitere 2 Jahre später beginnt meine Freundschaft mit Martin und somit auch meine bis heute unbefriedigte, leider nur platonische Liaison mit dem SPIDER. Und obwohl ich bis zum heutigen Tag nie selbst einen eigenen SPIDER besessen habe, bin ich so unendlich viele Kilometer auf Traumstraßen und durch hinreißende Landschaften in ihm gefahren, dass mir dieses Automobil vertrauter ist als alle anderen Automobile, die ich vorher und danach je besessen habe. Auch wenn darunter so tolle Teile waren wie ein NSU TT oder ein ALFA ROMEO GT 1300.

Später, nachdem der 1400-er seinen Geist bei rund 190.000 Kilometern aufgegeben hatte und auch das Originalgetriebe nur noch sehr widerwillig die nötigen Gangwechsel vollzog, erhielt der alte SPIDER eine Herzverpflanzung. Ich war zu dieser Zeit in der Lehre zum Speditions-Kaufmann bei PRACHT in Siegen-Eiserfeld und wie der Zufall es wollte blickte ich aus dem Fenster meines Büros genau auf einen angrenzenden Schrottplatz. Weil mich nun Schrottplätze seit jeher als unerschöpfliche Fundgrube für so manche Rarität in ihren Bann gezogen hatten, kannte ich nach einigen Tagen bereits sämtliche Wracks, die auf diesem speziellen Platz übereinander getürmt waren. So fiel es mir eben auch sofort auf, als eines Tages im November der Abschleppwagen des Schrotthändlers mit einem Metaliegblauen, verunfallten FIAT 132 auf der Ladefläche unter meinem Fenster vorbei fuhr. Natürlich ging ich in meiner Mittagspause nicht wie üblich zum Essen, sondern lenkte meine Schritte ohne Umwege zu besagtem Schrottplatz. Der junge Mann, den ich antraf, hatte bereits Radio, Batterie und Räder des 132-ers abgebaut und war gerade dabei, ihn mit seinem Kran zu oberst auf einen Stapel anderer Wracks zu hieven. Auf meine Fragen nach dem Zustand von Motor und Getriebe konnte er mir keine Antwort geben und den Wagen noch mal herunterzuholen, die Batterie anzuklemmen und es selbst zu versuchen, dazu hatte er keine Lust. Ich fragt nach dem Preis von Motor und Getriebe. „Na, so dreihundert Mark müsste das aber schon bringen.", meinte er nachdenklich. „Gekauft!", rief ich und er hievte den Wagen wieder herunter. Ich zahlte hundert Mark an und ließ mir eine Quittung ausstellen. Dann eilte ich zurück ins Büro und rief bei Martin zu Hause an, um ihm ausrichten zu lassen, dass ich am selben Abend noch vorbeikommen wolle.

Seine Augen schienen fast aus ihren Höhlen zu treten, als ich ihm die Quittung unter die Nase rieb. „Du suchst doch schon länger nach einem passenden Ersatz für deinen Motor", sagte ich. „Und da dachte ich, als ich den Preis hörte, dass dir bei deiner chronisch leeren Studentenkasse dieses Motörchen wohl wie gerufen käme."

„Wie lange hat der Schrottplatz auf?" fragte Martin wie aus der Pistole geschossen. „Bis sechs oder so, kann das sein?" – Ruf schon mal an. Hier auf der Quittung steht die Nummer. Ich besorge schon mal den Granada von Bentlers mit dem Hänger."

Gesagt, getan. Und um fünf vor sechs standen wir auf dem Hof des Schrotthändlers. Der Motor war bereits samt Getriebe ausgebaut und lag zur Abholung bereit. Nur die Sache mit dem Preis stellte sich als nicht so einfach heraus. Der Chef vom Ganzen meinte nämlich sein Gehilfe hätte keine Ahnung von der Materie und er könne uns Motor und Getriebe unmöglich so billig überlassen. Nach einigem hin und her einigten wir uns auf die Zahlung von noch mal dreihundertfünfzig Mark, so dass Motor und Getriebe, die bereits geleistete Anzahlung mitgerechnet nunmehr 450 Mark kosteten. Immer noch spottbillig fanden wir und luden auf.

So kam dann an einem nasskalten Dezemberwochenende kurz vor Weihnachten auf dem Hof hinter der Shelltankstelle in Siegen-Geisweid ein neues Triebwerk in den SPIDER.

Nach einigem Gefummel mit ein paar notwendigen Umbauten hieß es: „Sitzt – passt – wackelt - und hat Luft". Probelauf! Schlüssel rein, Kupplung durch, Gang raus, Gas zwei mal durchtreten und.........nichts! Nochmal. Wieder nichts. Kein Laut. Etliche Versuche später immer noch nichts. Nur der Anlasser hatte inzwischen die Batterie leer georgelt. „Hol den Alfa. Wir ziehen ihn an." sagte Martin ziemlich entschlossen. „Der läuft heute noch, wetten?. Ich baue ihn jedenfalls nicht wieder aus." Sprach's und befestigte ein Schleppseil zwischen SPIDER und SPIDER. Gleich unser erster Versuch war nach gut zweihundert Metern von Erfolg gekrönt. Er lief! Aber wie. Gerade mal auf zwei Töpfen polternd konnte Martin den Motor notdürftig für zwei, drei Minuten am Leben halten. „Hätte mich auch gewundert, wenn das so einfach gewesen wäre." murmelte er und verschwand mit Kerzenschlüssel, Ratsche, 10-er Schlüssel und Schraubendreher zwischen den Zähnen in den Tiefen des Motorraums.

Martin ist ein Genie, was das Einstellen von Motoren angeht. Er brauchte keine Computer oder teuren Geräte um Zündung und Vergaser einzustellen. Selbst die überaus diffizile Einspritzanlage am V6 des Capri RS 2.6 war für ihn kein Problem. Handbuch in die Ecke geschmissen, Ohren und Fingerspitzen gut durchblutet und abtauchen. Voilá! Läuft wie geschmiert! So was war bereits damals eine Seltenheit. Und heute erst. Chiptuning, pfui Spinne!

Alle Kerzen hatte er gewechselt und die beiden 40er Weber Doppelvergaser grob synchronisiert. Dann überbrückten wir die Batterie mit dem Alfa und sieh da... er lief. Und wie. Auf allen vier Pötten, ganz so wie es sein sollte. Wir führten Freudentänze in unseren durchnässten Stiefeln auf und rannten nach vorn in die Tankstelle, um etwas zu trinken zu holen. Das musste gefeiert werden. Martin brauchte noch etwa eine Stunde, bis er mit dem Ergebnis seiner Einstellarbeiten zufrieden war und ölverschmiert aber so breit wie noch nie zuvor grinsend aus dem Motorraum wieder auftauchte. Im letzten Tageslicht montierten wir noch die Haube und räumten den übrig gebliebenen Schrott beiseite. Es war vollbracht! Der SPIDER hatte ein neues Herz. Und es schlug einwandfrei.

Satte 1800 ccm brachte die 132er Maschine mit und mit den Doppelvergasern des 1600ers ergaben sich so ungefähr 120 bis 125, vielleicht ja auch 130 PS. Nicht schlecht. Und er ging auch nicht schlecht. Wirklich nicht. Er drehte zwar keine 8 ½ Tausend mehr wie der 1400er, aber 7 ½ waren es immer noch ohne zu zucken. Und dabei ging er ab 4 Tausend noch mal so richtig los. Das reichte locker für die sauschnellen GTIs, GTEs und GSIs in jener Zeit. Und der Sound war auch genial. So musste das sein.

„Halt! Da stimmt doch was nicht". Ja, ja. Ich höre die Kenner aufschreien. „Kann gar nicht sein mit den Doppelvergasern. Die passen ja nicht unter die Haube vom 1400er."

Richtig. Stimmt genau. Und deshalb haben wir, Schande über uns, die flache Originalhaube über den Vergasern entsprechend ausgebeult. Beispachteln, Glätten, Lackieren. Fertig ist die Laube. Und der Luftfilterkasten für die Webers passt da auch noch locker drunter. Aber das beste war der TÜV. Nix gemerkt!

So tief wie er eh schon lag, dann noch die Cromodorafelgen mit 195ern, dazu vorn links und rechts nur verchromte Halbstoßstangen und hinten das gleiche. Vorn zwischen den halben Stoßfängern und knapp unterhalb des Grills waren 2 Rallyscheinwerfer montiert. Das sah klasse aus. Hinten hatte Martin sich aus einem Märklin Metallbaukasten eine Nummern-schildhalterung nebst Beleuchtung gezaubert und ein quadratisches Kennzeichen montiert. Ein Rückfahrscheinwerfer links unter der Stoßstange komplettierte das Bild der Heckansicht. Es gab keinen Gepäckträger auf dem Kofferraumdeckel, dafür jedoch einen Talbotspiegel in Wagenfarbe links und einen rechts. Das Radio war mangels Platz rechts im Fußraum des Beifahrers am Getriebetunnel befestigt. Auf dem selben, der ebenso wie der gesamte Fußraum mit braunem (oh diese 70er!) Teppichboden bezogen war, thronte unterhalb der Heizungs- und Lüftungsverstellung eine dieser in sportlichen Fahrzeugen jener Zeit absolut unverzichtbaren Plastikhutzen mit den drei schräg gefrästen Öffnungen für kleine VDO-Rundinstrumente.

Hier waren Volt- und Amperemeter sowie ein Ölthermometer untergebracht. Aus heutiger Sicht natürlich grausig, jedoch, wie gesagt – das war eben der Geschmack der wilden 70er. Farbe hatte der gute, alte SPIDER im Laufe weniger Jahre viel gesehen, viel zu viel. Aber es waren auch einige recht gelungene Kreationen darunter. So zum Beispiel eine perlmuttweiße Grundlackierung in 6 Schichten auf die dann zum Kontrast die Flanken des Autos mit Kupfer abgesetzt waren. Das ganze wurde mittels einer dünnen Zierlinie noch verstärkt. Dann gab es eine ordentliche 3-schichtige Klarlackversiegelung und – es sah gar nicht so schlecht aus. Alles aus der Sprühdose, versteht sich. Und ganz ohne Nasen.

Die Krönung jedoch war die ausgebeulte Haube. Hier hatte Martin ganze Arbeit geleistet. Mit Haarpinsel und Modellfarben malte er ein täuschend echt wirkendes, sich an beiden Seiten nach hinten verjüngendes silbernes Lufteinlassgitter um die tropfenförmige Beule in der Haube, aus dem er dann rote und gelbe Flammen züngeln ließ. Die Idee, getürkte Auspuffkrümmer auf die vorderen Kotflügel zu pinseln habe ich ihm noch rechtzeitig ausreden können.

Der Wagen war auf den ersten Blick auch neben einem Originalspider nicht mehr als solcher zu erkennen gewesen, so machte es auch nichts, dass Martin noch eine selbst hergestellte, verchromte Kulissenschaltungsführung montierte und den Wagen komplett mit schwarzem Leder auskleidete. In Heimarbeit versteht sich! Die alten, durchgesessenen Sitze waren bereits vor der Fahrt nach Südfrankreich durch solche mit integrierten Kopfstützen aus einem Opel GT ersetzt worden. An dieser Stelle kann ich nur hoffen, dass die jeweiligen TÜV- Ingeneure von damals bereits in wohlverdientem Ruhestand sind. Unglaublich, was so alles nicht beanstandet wurde.

Ach übrigens, der Aschenbecher bestand aus einer zuerst mit Teppich, später dann mit schwarzem Leder bezogenen Zigarrenkiste, in deren Deckel ein verchromter Klappascher der Deutschen Bundesbahn Platz fand. Das Ganze war dann vor der Handbremse montiert. Einzig das Lenkrad war in all den Jahren immer das originale geblieben. Lediglich eine Wildlederhaut hatte Martin darum gebunden, um es etwas griffiger zu machen. Auch Armaturenträger (die mit den wunderschönen Chromeinfassungen) und Karosserie blieben im Originalzustand. Der Rest wurde immer wieder verändert, verbessert, oder auch verschlechtert. Je nach Finanzlage eben. Dennoch, genauso wie er war, war er sein, war er unser SPIDER. Wie auch eine echte Harley eben nur dann eine echte Harley ist, wenn sie von ihrem Besitzer liebevoll customized wurde, so traf dies auf eben diesen einen, speziellen SPIDER zu. Ein „normales" Auto kam für Martin damals überhaupt nicht in Frage.

20 Jahre und unzählige Kilometer in so mancher braven Familienkutsche später erinnere ich mich gern an die Zeit mit Martin und mit dem SPIDER. Wir drei hatten eine tolle Zeit miteinander gehabt. Fliegende Haare der Mädels, die auf der Persenning saßen, verbrühte Füße, als mitten auf den Champs-Elysées in Paris der Heizungsschlauch kaputt ging. Natürlich im dicksten Stau. Ich musste mit einer Literflasche in der Hand ein Café nach dem anderen abklappen und um Wasser für den Kühler betteln, während Martin mit offener Haube fahrend versuchte die letzten Meter bis zu einer Tankstelle zurückzulegen. Der abgerissene Auspuff, der Opfer eines mördermäßigen Schlaglochs in Italien wurde, in dem man leicht einen 500er Fiat hätte verstecken können. Das Rennen mit dem R5 Alpine in den Seealpen über den Col de Turini Richtung Monte Carlo. Mit dem SPIDER um dem Grand-Prix-Kurs von Zolder, Die Wochenendausflüge an den Biggesee. Und immer wieder schrauben, schrauben und noch mal schrauben. War man vorn fertig, fing man hinten wieder an und umgekehrt. Was wohl aus dem SPIDER geworden ist? Ob er noch lebt? Martin erzählte mir einmal vor Jahren, dass er den SPIDER beim TÜV, als dieser dann doch nicht mehr seinen Segen erteilen wollte, gegen einen VW Scirocco eintauschte. Das ist das letzte, was ich in Erinnerung habe. Aber vielleicht weiß ja ein Spider-Verrückter irgendwo da draußen mehr über Martins, über unseren SPIDER...

St.-J. Wolf

8400 Lagoa/Portugal